„Radtouren und Radreisen mit Kindern – von Radträumen, Traumreisen und Wirklichkeiten“.

radreisen mit kindern baltikum

Lange habe ich überlegt, was ich zur Blogparade zu der Christine von Reise-Kids.de aufgerufen hat beitragen kann. So viele verschiedene Radreisen haben wir als Familie schon erlebt.
Nun ist es ein längere Bericht geworden, wie wir uns aufgemacht haben unseren lang gehegten Radreisetraum zu erfüllen.
Wie so manche kleine Überraschung uns bereichert hat, wie wir gelernt haben uns Einzulassen, auf dieses JETZT als Familie und all das Ungewisse was das so mit sich bringt.
Es ist kein Reisebericht im Außen, viel mehr eine kleine Geschichte über unseren Weg im Reisen Anzukommen.

Unser 8 monatiger Radreisetraum mit zwei Kleinkindern (1 & 3) durch Süd-Osteuropa

radreisen mit kindern zelt kinder

2015 haben wir uns einen lang gehegten Radreisetraum erfüllt. Wir fuhren 8 Monate mit unseren beiden Reisekindern (damals 1/3 Jahre )im Anhänger, mit Rädern und Zelt durch Südosteuropa. Uns zog es Richtung Baltikum. Da war es im Frühling noch zu kühl und so kamen wir auf die Idee immer mit dem Frühsommer aus dem Süden von Pula (Kroatien) nach Norden bis Talinn (Estland) zu fahren. Unsere Wunschroute legten wir in einigen Tagen grob fest. So richtig wollten wir erst vor Ort planen, denn in Südosteuropa gibt es teilweise keine Radwege. Vor Ort wollten wir dann mit örtlichen und digitalen Karten die Route anpassen.
Aufregend war diese Zeit der Ideensammlung und Pläneschmiederei. Spontan fand ich günstige Flüge nach Pula (Istrien) und buchte. Zu diesem Zeitpunkt war noch nicht klar, ob wir die Reise so realisieren können.

Die ersten Schritte waren getan, jetzt mußten wir uns eine realistische Reisefinanzierung überlegen. Tatsächlich war das unsere größte Herausforderung. Ein ganz schönes jonglieren mit Zahlen folgte. Mit welchen Ausgaben und Einnahmen konnten wir rechnen? Wir hatten kein Erspartes und schnell lies sich das Reisebudget errechnen, etwas unter 900 Euro im Monat für alle 4 mit Essen, Zelten, Versicherungen etc. Hm, ob das reichen würde? Nun ja, wir beschloßen, dass es reichen mußte sonst wären wir nie los gefahren. Natürlich reduzierten wir die Kosten zu Hause auf ein Minimum, kündigten alles Unnütze und fanden glücklicherweise 4 Wochen vor unserem Flug einen Untermieter für unsere Wohnung. Ohne diesen hätten wir die Reise gar nicht antreten können. Im Nachhinein bin ich erstaunt wie optimistisch wir waren und sich alles gefügt hat. Endlich konnten wir voller Vorfreude anfangen zu packen. Über jedes Gramm wurde entschieden und wir nahmen nur das wirklich Nötige mit. Das fiel uns nicht schwer. Auf den letzten Reisen hatten wir viel über überflüssiges Gepäck gelernt und so manch kleines Lehrpaket wieder nach Hause geschickt.

radreisen mit kinder flugzeug

Es kam der Tag der Abreise, die Räder und alles Gepäck war ordentlich für den Flug vorbereitet, die Kinder entspannt und wir alle irgendwann überglücklich in der Luft. JETZT ging unser Abenteuer endlich richtig los. Aber ganz anders als vermutet. Ich hatte im Flugzeug einen Hörsturz und war augenblicklich zu nichts mehr zu gebrauchen. Mein Hörvermögen war komplett weg und der Gleichgewichtssinn gestörrt. Dieser Zustand hielt 2 Tage intensiv an und erschreckte uns ordentlich. Wir waren unendlich dankbar, dass wir für die ersten Tag eine feste Bleibe organisiert hatten. Ich konnte mich in Ruhe erholen. Nikolaus baute die Räder wieder zusammen, kaufte Gaskartuschen für unseren Kocher, kochte und hielt die Kinder bei Laune. Viel hatten wir geplant und organisiert, krank werden (von uns Eltern) kam da irgendwie gar nicht vor. Am dritten Tag bekam das Reisebaby 40° Fieber und blieb gleich mit im Bett. Also verlängerten wir die feste Unterkunft noch ein paar Tage. Das Reisebaby hatte sich noch schnell neue Zähne zugelegt und war wieder gesund und munter, als wir nach 8 Tagen auf die Räder stiegen und los fuhren.

radreisen mit kindern ostsee

Endlich sahen wir dass Meer, den istrischen Frühling, Blütenprachten und unseren ersten Delphin. Wir machten langsam, denn ich war noch geschwächt. Tatsächlich dauerte es viele Wochen bis ich wieder richtig in meiner Kraft war. Zum Glück, denn schon in den ersten Tagen zeigte sich, dass wir erstmal einen gemeinsamen Reiserhythmus finden mußten.
Mit zwei Kleinkindern unterwegs zu sein, war völlig anders als „nur“ mit Einem, das stellten wir schnell fest. Um ein Kind konnten wir den Radreisetag organisieren und die Fahrzeiten mit den Schlafenszeiten abstimmen. Die Bedürfnisse unsere Kinder waren zum Teil sehr unterschiedlich und der Bewegungsdrang enorm. Gefühlt kamen wir erstmal nicht vom Fleck. Kaum hatten wir endlich alles verstaut, gefrühstückt, alle Snacks und Wasserflaschen vorbereitet – das Reisebaby war eingeschlafen und das Reisekind schaute glücklich in die Landschaft – da mussten wir schon wieder anhalten.

radreisen mit kindern papa kind

Hier sorgte ein Krabbeltier beim Reisekind für Unruhe, da verlangte unser Reisebaby lautstark nach der Brust, gerade eingeschlafen war es schon wieder aufgewacht, unerträglicher spontaner Hunger, Töpfchenbedürfnisse, draußen gab es etwas zu entdecken, Bewegungsdrang…

Was man halt so alles fühlen und brauchen kann wenn man 1 und 3 Jahre alt ist und Mama und Papa irgendwie ganz andere Pläne haben. Das Reisegeschwisterkind wurde plötzlich als unerträglich empfunden und die Tage waren von ständigen Streitereien im Anhänger begleitet. 20-30 km kamen wir maximal voran. Wir waren genervt, diese erzwungene Entschleunigung ärgerte uns anfangs sehr.
Wo waren die sportlichen Kilometerschrubberein aus vergangenen Zeiten? War das vorbei, für immer? Kann man das überhaupt Radreisen nennen? Ist wirklich der Weg das Ziel? Und warum sind wir nicht überglücklich, sondern unzufrieden und manchmal sogar überfordert? Wir erfüllen uns doch gerade einen Lebenstraum – da MÜSSEN wir doch glücklich sein!!! Oder nicht?

An der istrischen Küste lernten wir uns einzulassen, auf unseren eigenes Reisetempo. Den Tag so zu nehmen wie er kam und entstehen zu lassen.
Wir verabschiedeten die alten Kilometerzählerein und erfreuten uns an einer neuen Reisetiefe.
Letztendlich sahen wir durch unsere zahlreichen Päuschen ja viel mehr und waren den ganzen Tag unterwegs. Unseren Gefühlen erlaubten wir zu sein. Weg mit allen Erwartungshaltungen. Wir waren da, das zählte. Mit zwei kleinen Menschenkindern die sich jeden Tag ein bisschen veränderten zu reisen, war neu und total spannend. Hatten vorher die alltäglichen Handlungen (einkaufen, waschen, Zelt aufbauen, packen) nur einen Bruchteil unsere Zeit in Anspruch genommen, dauerte jetzt alles viel länger und 4 kleine Hände wollten unbedingt mitmachen.

Unseren Tagesablauf änderten wir komplett. Waren wir immer sehr zeitig aufgestanden (im Zelt wurde es gegen 5 hell und spätestens gegen 6 erklang der tägliche „ Maaaama ich muß mal Weckruf“)  und fast noch schlafend losgefahren, machten wir nun gemütlich. Wir Eltern blieben noch ein bisschen länger liegen, die Kinder spielten munter ums Zelt herum, aßen ihr erstes kleines Frühstück und genoßen ihre Freiheit. Herrlich und praktisch. Alles war sicher und niemand konnte irgendwo herunter fallen. Einer von uns machte schnell das Überzelt ab und so hatten wir einen guten Rundblick. Die Kinder waren zufrieden und wir wesentlich entspannter, denn die durch das Stillen unterbrochenen Nächte machten uns doch müder als gedacht.

radreisen mit kindern unterwegs

Letztendlich konnten wir meist zwischen 10-11h los fahren und die Kinder konnten im Anhänger vor der nächsten Spielzeit ein bisschen ausruhen.
Die Streitereien waren trotzdem noch da und so griff Nikolaus zu einem drastischeren Mittel. Er baute aus einem gefundenen Karton eine Trennwand. Als die kaputt war baute er noch Eine. Und als die kaputt war verstanden sich die Kinder wieder und die Streitereien waren endlich vorbei.

Damit begann sich unser Reisealltag ganz harmonisch zu entwickeln. Wir fuhren soweit wie wir Lust hatten, machten viele Pausen in denen wir uns ausruhten und die Kinder quietschvergnügt die Gegend erkundeten, wuschen ab und zu Wäsche, gingen alle 2-3Tage einkaufen. Am Abend kamen wir an, bauten unser Zelt auf und kochten Abendbrot. Gefiel uns ein Ort besonders gut blieben wir auch mal 1-2 Nächte länger. Am Morgen fuhren wir los und wußten nicht was der Tag uns bringt, oder wo wir am Abend sein würden. Die Kinder fühlten sich immer wohler und kamen mit den wechselnden Orten gut zu recht. Wir, der Anhänger und das Zelt wurden die beständigen Komponenten.

Mal schliefen wir auf Campingplätzen, dann in der freien Natur. Ein herrliches einfaches Leben, in dem jeder seine Aufgaben für sich fand. Unsere Reisekind entdeckte das Zelt aufbauen für sich. Natürlich anfangs mit uns zusammen, später dann alleine. Das Einräumen von Iosmatten und Schlafsäcken machte ihr besonders Spaß und wurde zum wichtigen Ritual. Unser Reisebaby half kräftig beim Stöckchen sammeln fürs Lagerfeuer und sorgte regelmäßig für Lacher und gute Laune.

radreisen mit kindern lagerfeuer

Wir teilten uns alle Aufgaben gemeinsam, so wie es gerade für uns passte. Nikolaus kümmerte sich besonders gerne um die Technik und ich lernte zuverlässiger als jede Wetter App die Wolken zu lesen.
Dieses Jetzt tat uns gut. Ohne auf die Uhr zu schauen, einfach zu sein und immer für den Moment zu schauen was dran war. Die Kinder blieben oft so lange wach, bis ihnen die Äuglein unterm Sternenhimmel zu fielen. Wir wurden unser eigener kleiner Familienmikrokosmos und lernten uns neu und intensiv kennen. Kein Funktionieren müssen, keine von Außen vorgegebene Routine.
Wir erlebten Herzensmomente gemeinsam, wie die ersten Schritte unseres Reisbabys oder die vielen Touren, welche das Reisekind mit dem gefundenen Kinderrad mitfuhr.

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Viel lernten und entdeckten wir in den einzelnen Ländern, jedes ist eine längere Reise wert.
Wir radelten durch Slowenien, Österreich, Ungarn auf kleinen Nebenstraßen, der Verkehr war okay und die Straßen anhängertauglich. Täglich wurde es ein bisschen sommerlicher und als wir in Bratislava ankamen war es schon sehr warm. Wir mußten uns entscheiden – entweder weiter Richtung Polen durch die Berge oder nach Wien und ein bisschen weniger Steigung. Als wir in Wien ankamen waren die Temperaturen bereits so hoch, dass wir uns nicht mehr wohl fühlten. Die Kinder „kochten“ fast im Anhänger und wir beschlossen das erste Mal auf öffentliche Verkehrsmittel zurück zu greifen und dem Sommer ein wenig davon zu fahren. Sonst hätten wir in den frühen Morgenstunden und spät abends fahren müssen und das passte nicht. Einfach ein Stück Zug fahren und in Polen wieder auf die Räder, das war unser Plan. Leichter gedacht als getan, denn es gab keine Zugverbindungen mit denen wir unseren Anhänger und die Räder mitnehmen konnten. Die Bahn weigerte sich. Es war im ersten Moment aussichtslos.

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Wir waren traurig und so bezaubernd Wien war, wir befürchteten das Ende unsere Reise, denn bei diesen Temperaturen war es uns unmöglich weiter zu fahren und mit unserem Budget konnten wir vieles nicht realisieren. Die Hochsaison saß uns schon im Nacken und überall stiegen die Preise auf den Zeltplätzen. Nach einigen Tagen Recherche und Grübelei beschlossen wir die Reiseroute komplett zu ändern. Wir wollten sofort ins Baltikum mit seinem milden Klima und dann über Polen nach Hause fahren. Uns war das Baltikum so wichtig, es nicht zu erreichen konnten wir uns nicht vorstellen. Also drehten wir die Route um und beschloßen ein erhebliches Loch in unsere Reisekasse zu reißen und mit dem Nachtzug über Deutschland nach Kiel zu fahren.

Von dort nochmal über 24h mit der Fähre nach Litauen, ein riesiger Umweg, aber nicht das Reiseende. Diese Entscheidung viel uns sehr schwer, denn öffentliche Verkehrsmittel wollten wir gar nicht benutzen. Uns war es immer so wichtig, aus eigener Kraft die Länder zu erkunden und so umweltverträglich wie möglich zu reisen.
Später stellte sich unsere Entscheidung als Segen heraus, denn wir erlebten eine unglaublich schöne und intensive Zeit im Baltikum und verließen es rechtzeitig vor dem viel zu früh einsetzenden Wintereinbruch.

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Viel könnte ich jetzt noch weiter schreiben, aber das sprengt für einen Text den Rahmen und kleine einzelne Texte findet ihr in unseren Reiseberichten.

Ein persönliches Fazit:

Diesen Traum endlich in die Realität zu holen hat uns verändert. Es gab viele Gründe es nicht zu wagen und trotzdem haben wir uns auf den Weg gemacht und ehrlich wir haben es nicht einen Moment bereut! Uns ist nicht ein einziges Mal etwas schlimmes Geschehen und überall gab es hilfsbereite und freundliche Menschen.
Natürlich war nicht immer alles rosarot und wir hatten auch mal Streitereien und schlechte Laune. Ab und zu war das Geld alle und manchmal gab es einen Tag zu oft Pasta zu essen, aber sonst war es das Beste was wir für uns als Familie tun konnten. Diese Reise hat uns gestärkt. Wir sind als Familie zusammen gewachsen, haben uns entdeckt ohne die vielen gesellschaftlichen Anforderungen. Fast 8 Monate haben wir im Zelt geschlafen, die Natur ganz neu lieben und achten gelernt. Wir erinnern uns an so viele einzelne kostbare Momente, dass wir oft erstaunt sind wie wenig wir von unserem Alltagsstadtleben als einzelne Erinnerungen abrufen können. Was haben wir noch gelernt?
Es kommt oft anders als vorher gedacht und für uns war es jedes Mal eine große Bereicherung. Dieses Einlassen auf das was Jetzt ist und zu schauen was dieses Jetzt braucht, hat uns gezeigt, dass es keine unlösbaren Hindernisse gibt. Mit Vertrauen waren wir immer gut aufgehoben in unserem Reiseleben und bis heute in unserem Alltag.

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Alles Liebe

Stefanie

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