Europäische Wurzeln – Estland

Eine besondere Begegnung hatten wir mitten im estnischen Wald. Auf der Suche nach einem Schlafplatz kamen wir zu einem sehr alten gepflegten Haus, weit abgelegen direkt an einem Naturschutzgebiet. Nach einiger Zeit kam ein älterer Herr auf uns zu und bot uns an unsere Lager hinter dem Haus aufzuschlagen. Er sprach fließend deutsch, weil sein Vater deutscher Este gewesen war. Er selber und seine Frau waren schon über 90 Jahre alt. So ein hohes Alter flößt mir immer großen Respekt ein. So viel Wissen. Was diese Augen wohl schon alles gesehen haben?

Der Mann erzählte vom Krieg, wie er sehr jung schon in Narva an die Front mußte sonst wäre er erschossen worden, seine Familie starb und viele viele andere Menschen auch. Wir haben sie gesehen die unzähligen Gräber und Friedhöfe nur für Soldaten. Überall sind Mahnmale und Gedenktafeln mit frischen Blumen. Schrecklich Wie viel Leid aus diesen Kriegen bis heute auf uns und unser Leben wirkt, kann ich mir gar nicht vorstellen.

Und jeder hat sie die eigene Kriegsgeschichte, oft wird gar nicht darüber gesprochen. Aber unsere Großeltern und Urgroßeltern haben die Kriege selber erlebt,nicht selten nicht überlebt, sind geflohen, ausgewandert, wurden vertrieben oder haben selbst zu Waffe gegriffen oder greifen müssen. Erstaunlich wie oft wir Menschen treffen deren Biografien europäisch sind. Die Eltern kommen aus unterschiedlichen Ländern, die Wurzeln liegen oft auch woanders. Es fällt schwer in Schubladen zu denken – du bist Este oder Russe oder Deutscher oder…
Da fällt es mit einem Blick in die eigene Familiengeschichte vielleicht auch leichter sich vorzustellen wie es den unzähligen Flüchtlingen geht, die in dieser Zeit zu uns kommen. Vielleicht können wir uns ein bisschen mehr einfühlen in das was heute passiert, wenn wir unserer eigenen Vorfahren erinnern die oft ohne die Hilfe von anderen Menschen ums Leben gekommen wären, die alles verloren haben und in der Fremde wieder neu beginnen mussten. Mit nichts als dem was sie am Leib trugen, mit Hunger, Angst und Mut!

Was hätten wir unseren Vorfahren damals gewünscht?
Menschlichkeit, Mitgefühl, helfende Hände da wo es von Nöten ist, offene Herzen und Zeit zu betrauern was nicht mehr ist, offene Arme die Trost spenden, die Chance sich selber etwas aufzubauen, Freunde in der großen Fremde und vieles mehr.
Und welche Erfahrung hätten wir Ihnen lieber erspart?

Das Haus hinter dem wir unser Lager aufschlagen durften, ist seit über 200 Jahre im Besitz der Familie der Frau, sie selber ist dort geboren worden. Heute ist es das Sommerhaus, im Winter ist es zu kalt da lebt das Paar lieber in der Stadt. Zum Abschied machen sie noch ein Foto von uns, ganz modern mit ihrem Smartphone.
Bewegt hat uns die Geschichte, wie gut es uns geht wir sind jung und können momentan mit unseren Kindern reisen. Verblüfft hat uns das dieses liebeswürdige Paar so gesund und rüstig war. So offen und mit sich versöhnt. Wahnsinn, ein tolles Altersbeispiel! Ihr Geheimnis, das Leben jetzt Leben, nehmen wie es kommt, das Beste daraus machen und immer in Bewegung bleiben!

Eine gute Zeit euch allen!

Stefanie& Nikolaus

 

Facebook Kommentare